erschienen in „Die Damen der Geschichte. Dark Fantasy-Geschichten mit historischem Hintergrund“, Art Skript Phantastik Verlag 2014.
Vor meinen Augen sacken Monteczumas Schultern nach vorne. Wieder ist etwas in ihm zerbrochen. Der Adler, das weiß ich plötzlich, wird nie wieder fliegen.
Wie alle Geschichten in der Anthologie spielt eine weibliche historische Persönlichkeit die Hauptrolle. Sabrina Železný hat erneut ein indigenes Setting gewählt: ihre Geschichte dreht sich um Malinche, die indianische Übersetzerin von Cortés.
Malinche ist eine der umstrittetensten Figuren der mexikanischen Geschichte, die besonders seit Erstarken des mexikanischen Nazionalisten im 19. Jahrhundert von einigen als sehr negativ gesehen wird.
Sabrina Železný umgeht geschickt die Frage nach dem Grund für Malinches Zusammenarbeit mit den Eroberern; sie deutet lediglich an, dass die junge Frau durch das Dolmetschen im Sinne ihres Volkes zu handeln versucht:
Alle Worte, die gewechselt werden, gehen zuvor über meine Zunge wie schillernde Glasperlen; ich schmecke ihr Gift, ich nehme ihnen die Schärfe, bevor ich sie in neuem Gewand weiter reiche.
Malinche nahm an den Verhandlungen zwischen Cortés und Monteczuma und anderen wichtigen Personen teil. Außerdem war sie Cortés Geliebte, weswegen Leute, die sie als Verräterin an ihrem Volk ansehen, hier eine Motivation sehen. Dass eine Frau in einem so ungleichen Machtverhältnis nicht unbedingt aus tiefen Gefühlen das Bett eines Mannes teilt, wird von solchen Leuten geflissentlich übersehen. Sabrina Železný geht auch hier nicht in die Tiefe (was den Rahmen einer Kurzgeschichte ohnehin sprengen würde), beschreibt jedoch auch keine besonders tiefen romantischen Gefühle. Für mich stellte es sich so dar, dass Malinche in der Geschichte die nächtlichen Stunden als weiteres Mittel der Kommunikation mit Cortes nutzt und vor allem die Möglichkeit der Beeinflussung (jedoch keine tiefen Gefühle) sie in sein Bett locken.
Das fand ich besonders faszinierend an der Kurzgeschichte: die Autorin zerredet die Motivation ihrer Heldin nicht, sondern deutet oft nur mit einigen Sätzen an, was ihre Meinung über Malinche ist – oder zumindest, was in die Geschichte passen würde.
Malinche hatte schon vor den Spaniern in sehr interessanten Zeiten gelebt (ich weiß nicht, ob ich diesen Terryismus noch heraus editieren werde). Die junge Frau wurde von ihrer eigenen Mutter in die Sklaverei an die Maya verkauft. Sabrina Železný hat sich nur einen kleinen Ausschnitt aus Malinches wechselvollem Leben ausgesucht, einen möglichen Wendepunkt in der Geschichte, an dem eine Einigung ohne Blutvergießen möglich wäre – wenn die Indianer kapitulieren.
Malinche steht in dieser Kurzgeschichte selbst an einem Wendepunkt: soll sie sich gegen die Spanier stellen und ihre Eroberung sabotieren, oder entscheidet sie sich gegen ihr Volk? Mit dem Auftauchen eines dunklen Wesens scheint sie die Macht zu haben, eine Wandel herbeizuführen.
Das Ende der Geschichte möchte ich in der Rezension nicht verraten. Es gibt mehr als eine Wendung, die ich anderen Lesern nicht verderben möchte.
Neben der interessanten Figur und der meisterhaft geschilderten fremden Kultur hat mich vor allem die poetische Sprache der Autorin beeindruckt. Ihre Beschreibungen atmen geradezu Tod, Gefahr und Blut und passen perfekt in eine solche Anthologie.
Die Geschichte um Malinche ist mit Abstand meine Lieblingsgeschichte aus der Anthologie. Daneben treten in der Anthologie 11 weitere Frauen auf, darunter eine weibliche Piratin (nicht Anne Bonny oder Mary Reid – es gab tatsächlich weitere weibliche Piraten, die aber nicht ganz so bekannt sind).