Deutschland ist kein gutes Land zur Veröffentlichung phantastischer Kurzgeschichten. Das ist vielleicht schon bei dem Aufzählen der undotierten Preise für Kurzgeschichten aufgefallen. Eine virtuelle Auszeichnung erfreut natürlich ebenfalls das Autorenherz und alleine schon während des Abstimmungsprozesses wird dafür gesorgt, dass neue Leser auf die Geschichten aufmerksam gemacht werden. Einige der Preise sind auch wirklich schöne kleine Trophäen für das Kaminsims oder die Vitrine, doch in der Regel muss die öffentliche Belobigung ausreichen. Und obwohl ich bei der ersten Seraphverleihung dabei sein konnte und auch diese ganzen virtuellen Preise liebe, die ohne das Engagement vieler Freiwilliger nicht möglich wären (wenn ihr Zeit habt: sprecht die Veranstalter an, irgendeines dieser Team wird zusätzliche Hilfe gebrauchen können), ist es bitter, in den englischsprachigen Raum zu schauen.
Dort gibt es nicht nur eine Fülle dotierter Preise, sondern auch viele Magazine, die regulär für die Veröffentlichung von Texten bezahlen. In Deutschland fällt mir nur ein Magazin ein, das auch erst ab dem kommenden Jahr erscheinen wird. Deutsche Kurzgeschichtenautoren haben viele Gründe, zu schreiben, aber Geld gehört da garantiert nicht zu.
Auch für den Leser stellt es sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise da, was für das Lesen einer Geschichte zu bezahlen ist. Aufstrebende Phantastikautoren zählen da subjektiv zu dem teuersten Lesevergnügen.
Anthologien aus großen Verlagen mit an die 400 Seiten gehen z.B. für 9,95 € über den Ladentisch. Wenn man das erste Mal bei einer Buchmesse zu Besuch ist und ganz interessiert nach der Anthologie eines kleinen Verlages greift, hat die vielleicht 150 Seiten bis 250 Seiten und liegt bei 12 bis 15 €. Manche Anthologien haben einen bekannten Autor als Stargast, doch in der Regel sind das für den erstmaligen Buchmesse-Besucher vielleicht überwiegend unbekannte Namen.
Und wenn man die Anthologien dann lieber zurück legt und später nach Futter für den Ebookreader sucht, findet man vielleicht ein paar einzelne Kurzgeschichten mit tollem Cover – eine Kurzgeschichte kostet 0,99 €. Daneben eine Bonus-Kurzgeschichte eines bekannten Autors für 0,00 €. Ein paar Seiten weiter bietet ein Fantasyautor seinen Roman für 2,99 € oder 3,99 € an. Da fängt man als Leser vielleicht an, die Seitenzahlen auf den Preis umzurechnen, was zu sehr ungünstigen Ergebnissen für die Kurzgeschichten führen.
Im englischsprachigen Raum gibt es eine einigermaßen feste Größe, wie viel eine Kurzgeschichte wert ist. Früher gab es die Faustregel „5 Cent pro Wort“ (keine Ahnung, ob das inzwischen angestiegen ist), und so haben Autoren vor dem Schreiben oder Einreichen eine einigermaßen genaue Vorstellung, was sie für den Aufwand des Schreibens bekommen können. Durch die ganzen Magazine war es vor dreißig Jahren (und vielleicht auch heute noch) nicht erforderlich, auf eine spezifische Ausschreibung hin zu schreiben. Natürlich haben die Magazine unterschiedliche Schwerpunkte, aber eigentlich gab es eine recht große Auswahl, zu der eine geschriebene Geschichte passen könnte.
In Deutschland dagegen ist das anders. Ausschreibungen werden in der Regel von kleinen Verlagen veranstaltet, die spezifische Themenvorgaben und Anforderungen haben. So ist es zwar möglich, eine bereits in der Schublade liegende Geschichte auf die Anforderungen einer Ausschreibung anzupassen, doch wie wir in den Interviews und Artikeln von Herausgebern und Verlegern in diesem Monat mitbekommen haben: wenn man die einfach so wie sie ist hin sendet, ohne noch einmal auf die genauen Anforderungen zu überarbeiten, merkt man das.
Die größeren Verlage sind für einen Autor in der Regel keine Option; der Großteil der Geschichten besteht aus Übersetzungen von Geschichten englischsprachiger Autoren, für die deutschen Originale, die vielleicht vom Herausgeber gewünscht werden, werden spezifisch Autoren angefragt.
Es bleiben also „nur“ die kleinen Verlage oder Selfpublishing.
Kleine Verlage zahlen oftmals kein Honorar. Falls sie dies tun, ist das für den Verlag schon spürbar (vor allem an der Arbeitszeit, wenn man das auf die Autoren umrechnen muss, vielleicht sogar nach einem Seitenschlüssel), der Autor dagegen meint das ernst, wenn er twittert, er wäre von seinen Tantiemen Pizza essen gegangen. Vielleicht reicht es bei einer einzigen Veröffentlichung auch nur für den Lieferdienst und der Partner muss sein Essen selbst bezahlen.
Zur Kalkulation von Büchern im Kleinverlag hat Torsten Low einen ganz tollen Artikel geschrieben. Vielleicht ist vielen Lesern auch gar nicht bewusst, dass der Buchhandel mit ungefähr 50 % oder mehr des Verkaufspreises die Hand aufhält. Wenn ihr auf einer Buchmesse seid, dann kauft doch da eure Bücher, oder falls der Verlag einen Onlineshop hat, bestellt direkt. Ich kann mir auch meine Passwörter nie merken und musste mir eine Liste machen mit Accounts, Mailadressen und Passwörtern (das ist ganz sicher, niemand weiß, was ich mit „Katze + Zahl“ meine). Vermutlich finden die meisten Leser es lästig, sich NOCH einen Account zu erstellen.
Aber für den Verlag macht es schon einen sehr großen Unterschied.
Ähnliche unterschiedliche Verhältnisse gelten bei Kurzgeschichten als Ebooks. Der Autor, den man nicht kennt, hat vielleicht jemanden für ein Cover bezahlt. Cover sind teuer, selbst wenn man die Grundidee des Romancovers verwenden läßt und nur einige Unterschiede vom Grafiker vornehmen lässt, oder wenn man ein Premade nimmt (die meisten Premades fangen bei 50 € an). Vielleicht hat der Autor einen freien Lektor über die Kurzgeschichte schauen lassen, vermutlich aber einen Korrektor.
Da steht man nun, bietet seine Kurzgeschichte für 0,99 € an, bekommt von Amazon 30 % oder 35 %… Muss ungefähr 140 Exemplare verkaufen, um die Kosten zu decken, vielleicht sogar mehr, aber dem Leser ist es zu teuer, weil neben dran gibt die Bonuskurzgeschichte von berühmter-Autor-mit-Roman-Saga umsonst und ein paar Seiten weiter einen ganzen Roman für 1,99 €.
Dann ist aber nicht die Kurzgeschichte zu teuer, sondern der ganze Buchmarkt seltsam und widersprüchlich aufgebaut.
Kurzgeschichten machen auch nicht weniger Arbeit, weil sie kurz sind. Sie müssen genauso geplottet, geschrieben und überarbeitet werden. Wenn ich einen Durchschnittswert für die Arbeit eines Autors an seiner Kurzgeschichte ermitteln würde, ist meine Erwartung, dass ich bei ungefähr 5 bis 10 Stunden Arbeitszeit heraus komme. Es gibt zwar Autoren, die schreiben, sie hätten auf den letzten Drücker in einer Stunde ihre Kurzgeschichte für eine Anthologieausschreibung geschrieben – die haben sich ja schon vorher Gedanken gemacht und geplottet, die Zeit ist da nicht mit drin. Außerdem verlassen sie sich drauf, dass der Herausgeber und Lektor da ein kritisches Auge drauf werfen – wenn es darum ginge, genau diese Kurzgeschichte selbst zu veröffentlichen, wäre es mit Plotten plus 1 Stunde schreiben nicht getan.
Für die meisten Autoren gilt, dass sie nicht wegen des Geldes schreiben. Mich hat es vor einigen Jahren sehr überrascht und schockiert, als ich festgestellt habe, dass viele bekannte Autoren, die zuverlässig jedes Jahr ein oder mehrere Bücher in einem großen Verlag veröffentlichen, „nebenbei“ noch als Lektor oder Übersetzer arbeiten.
Man kann als Autor nicht die Bezahlung in Relation zur aufgewendeten Arbeitszeit stellen, oder als Leser den Kaufpreis einfach proportional mit der Länge des Textes vergleichen. Das scheint mir in Deutschland noch mehr der Fall zu sein als in anderen Ländern.
Und bei Kurzgeschichten insbesondere. Kurzgeschichten sind eine ganz eigene Kunstform, und ich freue mich bei jeder Buchmesse über ungewöhnliche Anthologieideen. Für mich ist es Standard geworden, mit einem halbvollen Koffer zur Buchmesse zu fahren und die Luft auf dem Rückweg mit Büchern zu füllen, vor allem Anthologien. In letzter Zeit veröffentlichen einige Autoren einzelne Kurzgeschichten als Print, davon habe ich auch ein halbes Dutzend im Regal.
Irgendwie müssen wir es schaffen, diese bunte Landschaft an Kurzgeschichten und Anthologien in der Phantastik zu erhalten, Kurzgeschichten mehr zu fördern und die Wertschätzung für Kurzgeschichten bei den Lesern zu steigern.
Aber wie man das schafft, da bin ich überfragt.
Liebe Meara,
insbesondere und vor allem Kurzgeschichten sind der Stoff der Zukunft, denn die heranwachsenden Generationen haben kurze bis ultrakurze Aufmerksamkeitsspannen, Social Media und Kommunikationswut sei Dank! Die Millionen Leserschaft ist vorhanden und die zahlen gerne und schnell per Klick. Damit die Kurzgeschichte eine Chance hat, müssen sich die AutrInnen kritisch selbst hinterfragen: Was bietet meine Story an mehr was ein Social Media Chat nicht erreicht? Soll meine Story lange/ewig überleben oder nur für den Tag/ Epoche? Will ich auf Zeit lukrativer Influencer, Publikumsliebling/People Pleaser sein auf die Emotionen des Zielpublikums abgesetzt oder bleibende Fantasy, Phantasterei schreiben, etwa JRR Tolkien?